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Edition Pharos im Atlantik Verlag Bremen

Siebtes Weltwunder

»Bremen spricht die Weltsprache Poesie«

Mit der »Edition Pharos« ging im Herbst 2005 unter dem Dach des Atlantik Verlages eine neue literarische Edition an den Start, die der Lyriker Gerd Kiep aus Butjadingen in der Wesermarsch gemeinsam mit dem Verleger Jürgen Heiser konzipiert hatte. Die Edition wurde nach »Pharos« benannt, dem Ur-Leuchtturm von Alexandria und einem der Sieben Weltwunder (siehe die von Emad Victor Shenoudar gefertigte Rekonstruktion im Bild rechts). Das Projekt, gedacht als »Werkstatt der Literaturen«, sollte durch seinen Namen und sein Programm »wie ein ›Leuchtfeuer‹ wirken, das im Norden an der Küste steht, aber weit über Land und Meer ausstrahlt«. Die beiden Begründer der Edition gingen bei ihrem Vorhaben von der Erkenntnis aus, daß es in Bremen keinen Verlag gab, der sich mit einem ausgesprochen literarischen Programm gezielt für Förderung und Pflege neuer und außergewöhnlicher Prosa und Lyrik einsetzte. »Es gibt aber ein reichhaltiges literarisches Schaffen in der Region Bremen und eine sich entwickelnde Vernetzung mit dem überregionalen literarischen Schaffen im deutschsprachigen Raum (einschließlich Schweiz, Österreich und Luxemburg) und Autorinnen und Autoren im fremdsprachigen Ausland. Kontakte nach West- und Südeuropa sind bereits vorhanden, neue entwickeln sich zum Teil sehr dynamisch nach Osteuropa. Die existierenden atlantischen Überseekontakte können erweitert werden.« So hielten es die Initiatoren der Edition in ihren anfänglichen Grundsatzpapieren fest.
Zum Start der Edition erklärten sie ihre Absicht, sich in einer gemeinsam mit weiteren Aktiven der Bremer Literaturszene gebildeten Redaktion »liebevoll und kompetent der ›Weltsprache Poesie‹ widmen« zu wollen. »Dabei liegt die Betonung auf Welt, nämlich der Erkenntnis, daß wir zwar in einer Welt leben, daß diese aber aus unzähligen kleinen und großen Welten besteht. Und diese Welten haben ihre unverwechselbaren Besonderheiten, die wichtiger werden, je mehr elektronische Kommunikation und rasender Datentransfer eine virtuelle Scheinwelt schaffen. In dieser Werkstatt der Literaturen werden deshalb lokale und regionale wie überregionale und internationale Stimmen zu Wort kommen«, so die Ankündigung im Herbstprospekt des Verlages. Leider blieb es wegen der zwei Jahre später erfolgten Schließung des Verlages bei zwei Novitäten.

(Grafik oben: Victor Shenouda)

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Die Edition

Edition PharosMarlis Thiel
Vielleicht das Meer

Edition Pharos
90 Seiten, ebr.
10.80 EUR - ISBN-10: 3-926529-85-7 / ISBN-13: 978-3926529855

Die Bremer Autorin Marlis Thiel beschreibt in einem außergewöhnlichen Sprachrhythmus anhand szenischer Annäherungen Leben und Werk der französischen Schriftstellerin Marguerite Duras (1914-96).
In fünf erzählten Bildern streift sie immer wieder die dünne Scheidewand zwischen phantasievollem Aufleben und deprimierenden Abstürzen im Prozeß der schriftstellerischen Arbeit.

Ein Text um Fiktion und Wirklichkeit beim Schreiben, in dem die Protagonistin Duras ihre Figuren durch ihre Texte gehen sieht. »Sie schauen die Blumen nicht an. Sie schauen in die Ferne. Vielleicht sehen sie das Meer.«Es geht um Liebe, Leben und Tod, aber vor allem um Not und Beglückung des Schreibens an sich und schließlich »das wunderbare Gefühl, ein Buch endlich in der Hand zu haben«.
Vielleicht eine passende Ouverture zur neuen literarischen Edition im Atlantik Verlag...

Die Autorin: Geboren 1950 in Grevesmühlen, DDR. Studium der Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte, Soziologie in Göttingen, Berlin, Bremen. 1998 Promotion mit einer Monographie über den Schriftsteller Klaus Mann.
Bibliographie: Die Sucht, die Kunst und die Politik, Pfaffenweiler 1998; Dieses Blaue des Himmels, Bremen 2001.

»Immer hat die Duras sich dagegen verwahrt, dass es eine lineare Geschichte ihres Lebens gibt. Und so folgt auch Marlis Thiel in ›Vielleicht das Meer‹ nicht der zeitlichen Logik biographischer Stationen. Vielmehr erzählt sie aus dem Blickwinkel einer Gleichzeitigkeit, in der das junge Mädchen und die alte Frau, die Fünfzehnjährige und die Achtzigjährige aus der gleichen Perspektive sprechen. Zuweilen liest sich der Text wie das Skript zu einem Film: die Sequenzen und Bilderfolgen, die Schnitte und Blenden setzen sich erst im Kopf des Lesers zu einem Gesamtbild zusammen.
Und immer ist das Meer gegenwärtig. Das Meer als Metapher, nicht als konkrete Kulisse: als Ort der Erinnerung und Ort der Sehnsucht, als Ort tödlicher Bedrohung und Ort des Begehrens.«
Inge Buck im Nordwestradio über »Villeicht das Meer« anlässlich des 10. Todestages von Marguerite Duras am 3. März 2006

Auszeichnung für Marlis Thiel und ihr Buch »Vielleicht das Meer«
Am 2. November 2006 wurde die Autorin vom Deutschen Schriftstellerverband (VS) zu Beginn der 43. Niedersächsischen Literaturtage im Rathaus zu Einbeck für ihr Buch mit dem Förderpreis des VS ausgezeichnet.

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Edition PharosWaldemar Nocny
Insel im Strom
Edition Pharos

Aus dem Polnischen von Ludwik Kozlowski,
in literarischer Bearbeitung von Hella Streicher
349 Seiten, Hardcover
19.80 EUR - ISBN-10: 3-926529-86-5 / ISBN-13: 978-3926529862

»Flüsse, die in den Himmel wollen, münden in die Weichsel...«
(Aus Günter Grass: »Hundejahre«, Widmung im Originalband)

Die Geschichte
Im Gdańsker Ortsteil Sobieszewo – ehemals Bohnsack, eine Halbinsel im Stromdelta der Weichsel – haben die Fischer-, Bauern- und Beamtenfamilien vor allem eins im Sinn: ihre eigene kleine Welt zu bauen und zu halten, koste es, was es wolle. Tief verbunden dem Meer und der Erde, die sie nähren, lieben und hassen sie diese Elemente zugleich, denn es ist ein harter Existenzkampf, der den Menschen hier abverlangt wird. So merken sie kaum, wie dieser Kampf immer mehr von der alles beherrschenden Politik bestimmt wird. Mehr noch – sie wollen es gar nicht wahrnehmen, sie meinen, daß gerade im Banne dieser Politik das, was man tun möchte, mit dem, was man tun muß, zu vereinbaren sei. Doch je mehr sie dem Wahn verfallen, im Aufwind des sich ausbreitenden deutschen Faschismus durch blinde Hingabe ihre kleine Welt erhalten zu können, desto größer wird ihr eigener Anteil an der Selbstzerfleischung dieser Welt.

Der Autor und sein Werk
Waldemar Nocny, bis Ende 2005 stellvertretender Bürgermeister und Sozialsenator von Gdańsk und heute wieder Leiter des Amtes für Soziale Dienste seiner Stadt, ist der Verfasser dieses detailreichen Romans. Anhand der Charaktere seiner Protagonisten, aber auch der zahlreich in Erscheinung tretenden Randfiguren, veranschaulicht Nocny den tiefen Wandel Danzigs in den Jahren 1920 bis 1945. Sein Werk ist historisch und aktuell zugleich, weil es um die Phänomene Totalitarismus und Mitläufertum geht, die zu allen Zeiten eine Rolle gespielt haben. Angesichts der von ihm beschriebenen finsteren Epoche der Geschichte geht es dem Autor aber auch um die Darstellung der Unbeugsamkeit von Menschen, die das Leben und die Freiheit lieben.
Weil der Autor nicht mit Stereotypen hantiert, macht er gesellschaftlichen Wandel und seine Wirkung auf das Individuum nachvollziehbar. So kann dieses Buch dabei helfen, die leidvolle Geschichte der deutsch-polnischen Nachbarschaft in der Phase des deutschen Nazi-Faschismus besser zu verstehen. Damit ist das Buch ein vortrefflicher Beitrag zur Verständigung zwischen beiden Nationen, mit dem der Autor gegen jede Art von Revanchismus wirken möchte. Insel im Strom ist seine erste Veröffentlichung in deutscher Sprache.

Kommentar des Übersetzers Ludwik Kozlowski
»Das Buch soll Warnung sein, daß der Mensch so leicht der Faszination einfacher Versprechen von Beförderung, Karriere, Wohlstand und Glück erliegt. Verängstigte, Ehrgeizige und Verlorene erliegen sehr schnell jenen Einflüssen und werden nicht selten zu ihren eifrigen Vollstreckern. Zum eigenen Verderb und dem Unglück anderer. Die Gesellschaften, gestern und heute, bestehen aus Millionen dieser Menschen. Für viele von ihnen ist der Zwang, dauernd Entscheidungen treffen und wählen zu müssen, schwer, sogar peinlich. Also wird er abgelehnt. Deshalb auch ergeben sie sich widerspruchslos in die Hände geschickter Politiker. Die Formen dieser Ergebenheit sind zweitrangig: Sie kommen zustande entweder durch Wahlen oder durch brutale Machtergreifung. Man wird befreit vom unguten Gefühl, selbst Entscheidungen treffen zu müssen.«

Bremer Buchpremiere
2006 jährte zum 30. Mal die Städtepartnerschaft zwischen Gdansk und Bremen. Ein Jubiläum, das in der politischen Atmosphäre der damals regierenden großen Koalition aus SPD und CDU verschlafen wurde.

Das Bremer Literaturkontor und die Edition Pharos luden daraufhin – auch mit Blick auf diese für beide Gesellschaften wichtige Städtepartnerschaft – zum 1. Juni 2006 ins Bremer Rathaus ein, um in Anwesenheit des Autors Waldemar Nocny die Buchpremiere seines Titels Inseln im Strom zu feiern. Im Hauptteil der Veranstaltung las der Hamburger Schauspieler Rolf Becker Auszüge aus dem neuerschienenen Buch.

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